Lobbyisten in Ministerien

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Das Problem

Das Fernsehmagazin Monitor deckte im Oktober 2006 auf, dass in Bundes- und Landesministerien in großem Umfang MitarbeiterInnen von Unternehmen und Unternehmensverbänden arbeiten und in der Regel von diesen weiter bezahlt werden. Über 100 Fälle sind inzwischen bekannt und in dieser Datenbank aufgelistet. Laut einer Prüfung des Bundesrechnungshofes waren externe Mitarbeiter an der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen beteiligt und nahmen zeitweilig sogar Führungsfunktionen wahr. Mehr als 60% von ihnen wurden dabei von ihrem Unternehmen oder Verband bezahlt. Sie wurden auch in Tätigkeitsfeldern eingesetzt, „die hinsichtlich ihrer politischen Bedeutung, ihres Zugangs zu internen Informationen oder ihrer Nähe zu den Interessenschwerpunkten der entsendenden Stelle eine herausgehobene Position hatten“.

Ein Teil der Fälle geht auf das Personalaustauschprogramm „Seitenwechsel“ der Bundesregierung zurück, ein Bestandteil des Regierungsprogramms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“. Dieses Regierungsprogramm wurde am 16. Juni 2004 verabschiedet. Erste Gespräche zu dem Austauschprogramm fanden im Frühjahr 2004 zwischen dem Bundesministerium des Innern und der Deutschen Bank statt.[1]

Ziel des Vorhabens sei ein langfristiger Wissenstransfer, um einen Mentalitätswechsel in der Bundesverwaltung zu erreichen, so die wohlklingende Begründung der Bundesregierung. Tatsächlich hat diese Praxis lange im Verborgenen stattgefunden und ist an vielen Stellen hoch problematisch und demokratieschädlich. Sie entpuppt sich als organisierte Verflechtung zwischen Bundesregierung, Unternehmen und (Wirtschafts)Verbänden.

Die Kritik

Das erste offensichtliche Problem ist der Mangel an Transparenz. Erst durch intensive Recherche konnte Monitor ans Licht bringen, dass und in welchem Umfang externe Mitarbeiter in Ministerien tätig waren oder sind, während sie weiterhin von ihrem eigentlichen Arbeitgeber bezahlt werden. Fortgesetzte Nachforschungen von Monitor und anderen Medien brachten dann immer mehr Fälle zu Tage, deren Existenz die Bundesregierung nur zögerlich einräumte. Bis heute fehlen detaillierte Angaben darüber, welche Mitarbeiter aus welchen Unternehmen zu welchen Themen tätig waren. Von einer umfassenden Aufklärung sowohl über vergangene als auch über aktuelle Fälle kann nicht die Rede sein.

Doch Transparenz allein genügt nicht. Selbst wenn es eine vollständige Übersicht über externe Mitarbeiter in Ministerien gäbe, bliebe die Praxis demokratieschädlich.

Werden Ministeriums-Mitarbeiter von Unternehmen bezahlt, werden sie zu Dienern zweier Herren. Damit wird der Grundgedanke des Grundgesetzartikels 33 unterlaufen, der festschreibt, dass Staatsdiener in einem Treueverhältnis zu ihrem Dienstherren stehen sollen. Auf diese Weise wird die absurde Situation geschaffen, dass Mitarbeiter von Unternehmen und Verbänden direkt oder indirekt an den Gesetzen mitwirken, die eigentlich ihre Unternehmen regulieren sollen. Da wird sprichwörtlich der Bock zum Gärtner gemacht.

Aber es geht nicht nur um die direkte Einflussnahme auf Regierungsprozesse. Durch den Einblick in interne Abläufe, Kenntnisse vertraulicher Themen und das Knüpfen persönlicher Kontakte entstehen den entsendenden Unternehmen Vorteile, die weit über die konkrete Tätigkeit im Ministerium hinaus reichen. In diesen Genuss können, das liegt in der Natur der Sache, nur wenige kommen. Das sind – das macht auch der Überblick in unserer Datenbank deutlich – in erster Linie große Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Dieser strategische Vorteil gegenüber anderen gesellschaftlichen Interessen kann mehr Transparenz nicht beseitigen. Die Konsequenz muss daher heißen: Lobbyisten raus aus den Ministerien!

Die politische Debatte

Den Enthüllungen durch Monitor folgte eine Zeit der Aufregung im Bundestag. Die Fraktionen von FDP (13.11.06), Bündnis 90/Die Grünen (04.12.06) und DIE LINKE (23.05.07) stellten kleine Anfragen an die Bundesregierung.[2][3][4] Die Antworten ließen jedoch viele Fragen offen. Sie listeten die in den Ministerien vertretenen Unternehmen und Verbände auf, aber ohne genau darzustellen, wie viele und welche MitarbeiterInnen sie in den Ministerien sitzen hatten und über welche Zeiträume. Auch die Aufgabenfelder wurden nur sehr grob und kaum aussagekräftig beschrieben. Wer also genau in den Bundesministerien saß, ob an Gesetzesvorhaben mitgearbeitet oder Einfluss auf Verwaltungsaufgaben ausgeübt wurde , blieb weitgehend unklar. Ebenso ist nicht sicher, ob die Antworten der Bundesregierung wirklich alle Fälle erfassten.

Die Bundesregierung selbst sah zunächst keinen Handlungsbedarf. Die Stellungnahmen der Bundesregierung verneinten die Mitwirkung von Teilnehmern des Austauschprogramms an Gesetzestexten. Die Austausch-Mitarbeiter seien lediglich in unteren Verwaltungsebenen tätig. Durch die „Einbindung in die hierarchischen Strukturen und der dadurch vorhandenen Kontrollmechanismen“, sei eine „Einflussnahme auf Entscheidungen […] ausgeschlossen“.[3]

Mittlerweile ist klar, das externe Mitarbeiter sehr wohl an Gesetzesentwürfen und Regulierungen mitgearbeitet haben. Die Monitor-Redakteure Kim Otto und Sascha Adamek beschreiben in ihrem im Februar 2008 erschienenen Buch „Der gekaufte Staat“ exemplarisch wie in Ministerien Einfluss auf die Gesetzgebung genommen wurde.[5]

Im April 2008 hat der Bundesrechnungshof seinen lange erwarteten Bericht zu der Problematik vorgelegt. Er warnt darin vor „erhöhten Risiken von Interessenkonflikten“. Der Haushaltsausschuss des Bundestages forderte daraufhin die Bundesregierung auf, bis Ende Mai klare Regeln für externen Mitarbeiter zu entwickeln. “Einsätze in Bereichen mit dem Risiko von Interessenskonflikten” müssten ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung arbeitet nun an einer Verwaltungsrichtlinie für externe Mitarbeiter. An dem Austauschprogramm selbst will die Regierung festhalten.

Aber es gibt auch weitergehende Positionen: die Linksfraktion setzt sich in einem Antrag für ein verpflichtendes Lobbyregister (Drucksache 16/8453) ein, der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach von der SPD fordert die komplette Abschaffung dieser Praxis.


Stellungnahmen der Bundesregierung

Die Bundesregierung setzt in ihrer Argumentation vor allem darauf, dass erstens die "externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" in die Hierarchie der Ministerien eingebunden seien und daher unter der Kontrolle ihrer Vorgesetzten ständen und es zweitens für die Politik wichtig sei, in schwierigen Sachfragen auf externen Sachverstand zurückgreifen zu können.

Wir halten diese Argumente für unzutreffend. Zum einen kann es im Arbeitsalltag keine vollständige Kontrolle über die Tätigkeit der externen Mitarbeiter geben – das zeigt auch der Fall der [Lobbyisten im Gesundheitsministerium#DAK|DAK-Mitarbeit im Gesundheitsministerium]. Weiterhin erhalten die externen Mitarbeiter auch bei einer Tätigkeit im unteren Hierarchiebereich quasi als Nebenprodukt interne Informationen und Kontakte, die sie zum Vorteil ihres Unternehmens oder Verbandes nutzen können.

Antworten auf parlamentarische Anfragen

„Eine politische Einflussnahme auf Entscheidungen der obersten Bundesbehörden wird durch die Einbindung der externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die hierarchischen Strukturen und der dadurch verbundenen Kontrollmechanismen ausgeschlossen. Zudem werden die betreffenden Personen auf gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten und auf Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten, die ihnen bei der Tätigkeit in den obersten Bundesbehörden bekannt werden, verpflichtet. Darüber hinaus achten insbesondere die unmittelbaren Vorgesetzten darauf, dass Interessenkonflikte vermieden werden.“[2]

„Die [Monitor-]Darstellung ist einseitig und stellt die Motive für den Informations- und Erfahrungsaustausch nicht zutreffend dar. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist bei spezifisch technischen Fragestellungen und im Bereich der Weiterentwicklung von Finanzierungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Public Private Partnership auf eine intensive Kommunikation mit Vertretern der Wirtschaft angewiesen. Ebenso erfordern die Aufgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf allen Ebenen einen Kontakt zu Unternehmen und Verbänden. Aus diesem Grund praktiziert das Ministerium seit mehr als 30 Jahren einen Personaltausch mit Wirtschaftsunternehmen und Verbänden.“[3]

Weitere Stellungnahmen

Dr. Steg, Pressesprecher des Auswärtigen Amtes:

„Aus der Antwort [der Bundesregierung auf die Anfrage der FDP.Fraktion] geht deutlich hervor, dass der Einsatz dieser externen Mitarbeiter natürlich ganz bestimmten Regelungen unterliegt. Auf der einen Seite sind sie zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auf der anderen Seite wird darauf geachtet, dass politische Einflussnahme einer Institution, eines Verbandes im singulären Interesse ausgeschlossen ist. Aber die Möglichkeit, den Sachverstand, der zum Teil außerhalb der Bundesregierung natürlich bei Spezialthemen vorhanden ist, unmittelbar einzusetzen, etwa bei so komplizierten und komplexen Reformvorhaben wie die Gesundheitsreform und die Auswirkungen auf das Kassensystem, auf Einzugsverfahren oder Ähnliches, nutzt man sehr schnell, um externe Mitarbeiter mit hoher Kompetenz zu gewinnen, die die entsprechenden Beamten in den Ministerien oder im Kanzleramt beraten.“[6]

Weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Hertie School of Governance 2006: Personalaustauschprogramm Öffentliche Verwaltung und private Wirtschaft. Evaluationsbericht (pdf)
  2. 2,0 2,1 Antwort der Bundesregierung (pdf) auf kleine Anfrage der FDP-Fraktion zu "'Monitor' – Bericht über eine neue Art von Lobbyismus in Bundesministerien", Drucksache 16/3395, 13.11.2006. Abgerufen am 13. Juli 2011
  3. 3,0 3,1 3,2 Antwort der Bundesregierung (pdf) auf kleine Anfrage der Grünen-Fraktion zu "Mitarbeit von Beschäftigten von Verbänden und Wirtschaftsunternehmen in Bundesministerien und in nachgeordneten Bundesbehörden", Drucksache 16/3727, 04.12.2006. Abgerufen am 13. Juli 2011
  4. Antwort der Bundesregierung (pdf) auf kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Thema "Institutionalisierter Lobbyismus", Drucksache 16/5406, 23.05.2007. Abgerufen am 13. Juli 2011
  5. Adamek, Sascha/ Otto,Kim (2008): Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch
  6. Pressekonferenz vom 27.11.2006 mit Fragen zur fristlosen Auflösung der Abordnung eines DAK-Mitarbeiters in das Gesundheitsministerium Abgerufen am 13. Juli 2011

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